Bereits im Mai 2019 hat der EuGH ein Urteil verkündet, welches die Erfassung der Arbeitszeit durch die Arbeitgeber bestimmt. Auch das Bundesarbeitsgericht entschied jetzt im September 2022: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt bereits heute und – Stand jetzt – für alle Arbeitgeber. Dies ergäbe sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes. Geregelt ist die Arbeitszeiterfassung in Deutschland im Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Die Vorschriften zum Umgang mit entsprechenden Daten der Arbeitszeiterfassung ist im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) festgehalten. Damit steht fest: An einer leicht zugänglichen, objektiven und verlässlichen Erfassung der Arbeitszeiten kommen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer herum.

Warum Arbeitszeiterfassung?

Arbeitgeber können auf Basis der genau erfassten Arbeits-, Pausen-, Urlaubs- und Krankheitszeiten bei der Identifikation unnötiger Aktivitäten, bei der Verbesserung von Aufwandsschätzungen und bei der Bildung von Gewohnheiten und Routinen helfen. Die erfassten Daten bilden die Basis für die Lohn- und Gehaltsabrechnung. 

Arbeitnehmern dient eine Arbeitszeiterfassung vor allem der Selbstkontrolle und der Möglichkeit zur Prüfung der Gehalts-, Überstunden- und Urlaubsabrechnungen. Sie haben einen Anspruch gegen ihren Arbeitgeber, dass pro Woche maximal 48 Stunden gearbeitet und täglich elf Stunden Ruhezeit am Stück gewährleistet sind. 

Was wird erfasst?

Bis Mai 2019 hatten Unternehmen auf Basis des Arbeitszeitgesetzes in Deutschland lediglich die Pflicht, jene Arbeitszeit zu dokumentieren, die über acht Stunden pro Tag hinausgeht (also Überstunden) sowie die Sonn- und Feiertagsarbeit. Selbst im Corona-Jahr 2020 haben die Beschäftigten in Deutschland fast 1,7 Milliarden Überstunden angehäuft, nur drei Prozent davon waren bezahlt. Nun muss der Arbeitsbeginn und das -ende, die Pausen und die geleistete Arbeitszeit transparent erfasst werden, Welches System das passende ist, hängt von Faktoren wie Unternehmensgröße, Digitalisierungsgrad, Branche und Arbeitszeitmodellen ab. 

Rechtliche und praktische Konsequenzen

Die Frage ist, ob Regelungen zu Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeitkontenmodelle so wie bisher noch möglich sind. Nach der derzeitigen Rechtslage müsste auch die Arbeitszeit leitender Angestellter erfasst werden, obwohl das Arbeitszeitgesetz für diese gar nicht gilt. Hier ist die Politik und der Gesetzgeber gefordert, die Vorgaben des EUGH in verbindliches Recht umzusetzen. Nach dem jüngsten Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 besteht in Deutschland nun jedoch eine Pflicht zur systematischen Erfassung der gesamten Arbeitszeit. Das „Ob“ steht nun fest, über das „Wie“ wird noch trefflich zu streiten sein. Ziel muss eine verlässliche, objektive und zugängliche Zeiterfassung sein. Dazu hatte das Bundesarbeitsministerium am 1. Februar 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für elf Branchen eine Pflicht zur digitalen Erfassung aller Arbeitszeiten anordnete. Kurz bevor der Gesetzentwurf für ein Gesetz mit dem Namen „Zweites Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ im Bundeskabinett beschlossen werden sollte, wurden sämtliche Passagen zur Arbeitszeiterfassung aus dem Entwurf genommen. Es heißt also weiter abwarten, bis der Gesetzgeber klare Vorgaben macht.

Andreas Tietgen, 07.11.2022